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POSIWID & Co revisited – Eine (weitere) Betrachtung des Purposebegriffs

Vor einiger Zeit habe ich mir vorgenommen, Begriffe, mit denen ich arbeite, genauer unter die Lupe zu nehmen. 

 

So zum Beispiel der Begriff “Purpose”. Als Buzzword ist er inzwischen so beladen, dass wir darunter alles Mögliche verstehen. Aber gerade deswegen ist Klarheit so wichtig, denn indem wir für uns klären, wie sie für uns funktionieren, zeigen wir uns und anderen, wie wir mit ihnen umgehen können. Ich möchte dabei unter anderem auf “POSIWID” eingehen, dem Akronym für “Purpose of a System is What it Does”, den wir hier bei Regenerative Unternehmen bereits öfter verwendet haben, und dem gegenüber den jüngeren Purposebegriff auslegen, dem wir vor allem im Rahmen von Leitbildentwicklung in Unternehmen begegnen. Zum Schluss mache ich einen Vorschlag, wie die verschiedenen Perspektiven sinnvoll zusammengelegt werden können. 

 

Purpose gibt es länger als wir denken.

 

Die Definition von Purpose als “POSIWID” stammt vom britischen Management-Kybernetiker Stafford Beer,  der ihn 1972 erstmals in seinem Buch “Brain of the Firm” beschrieb. Der Schwerpunkt seiner Definition liegt also auf dem, was das System tut und als Ergebnis produziert, und nicht, was Akteure eines Systems behaupten zu tun. Er schrieb dazu: 

 
“Ein guter Beobachter wird den Zweck des Systems aus seinen Handlungen und somit aus dem resultierenden Zustand ableiten. Der Zweck eines Systems ist das, was es tut. Es hat schließlich keinen Sinn zu behaupten, der Zweck eines Systems sei das, was es beständig nicht zu tun vermag.”
 

Das ist eine interessante Perspektive, da wir heutzutage den Purpose eher als “Daseinsgrund, Anliegen oder Bestimmung” interpretieren. Das ist allerdings eine fundamental andere Sichtweise auf den Purposebegriff, die darauf beruht, was Akteure eines Systems diesem zuschreiben, oder anders gesagt: was sie beabsichtigen, dass das System durch die Bestimmung eines Daseinsgrunds tut. Anders als POSIWID können bei dieser Auslegung Außenstehende eines Systems nicht einfach den Daseinsgrund oder die Bestimmung eines Unternehmens festlegen. 

 

Ergebnis vs. Intention

 

Beers Auslegung von Purpose bzw. Zweck ist also recht eng gefasst, insbesondere im Vergleich zur heutigen Auffassung des Purpose-Begriffs. Während Beer betont, dass der Zweck eines Systems durch das bestimmt wird, was es tatsächlich tut (POSIWID), spielt in der modernen Purpose-Diskussion auch die Intention relevanter Akteure eine wichtige Rolle, nicht nur das Ergebnis. Diese erweiterte Definition von Purpose sollte jedoch nicht im Widerspruch zu POSIWID stehen. Wenn wir heute von Purpose im Unternehmenskontext sprechen und Unternehmen ihren eigenen Purpose definieren, ist in der Regel die Entwicklung einer Intention, eines Leitbildes, gemeint, mit dem Ziel dem System in seinen Bestrebungen eine Richtung zu geben. Innerhalb dieser Auslegung gibt es wiederum verschiedene Ansätze, die aber gemeinsam deutlich machen, dass dem Purpose eine Dynamik inhärent ist, beispielsweise

 

* Purpose als Praxis, Purpose als Weg, Purpose als Wegweiser (Richard Leider)

* Purpose als evolutionäre Kraft (Giles Hutchins / Laura Storm)

* Purpose als innerer Antrieb (Frank Dopheide)

 

Diese Perspektiven zeigen, dass Purpose heute als ein dynamischer und entwicklungsorientierter Begriff verstanden wird, der über die bloße Betrachtung des Ergebnisses hinausgeht.

 
 

Die primäre Betrachtung von Purpose als Intention bringt die Tücke mit sich, dass sich Intention und Ergebnis nicht unbedingt decken und dass Intentionen unvorhersehbare, unbeabsichtigte Konsequenzen haben können. Das tatsächliche Ergebnis kann sogar stark von der Ausgangsthese und dem erwünschten Ergebnis abweichen, oder, nur für bestimmte Personen im Einklang mit der Intention sein, für manche gar nicht. 

 

Intention als treibende Kraft hin zum gemeinsamen Purpose 

 

Darüber hinaus gibt es die nachvollziehbare Kritik, dass POSIWID den Purposebegriff zu einseitig auslegt. Viele ärgern sich sogar darüber, weil er den Menschen in seiner Handlungsfähigkeit (im Englischen besser: “agency”) ausschließt. Wir als Menschen verlassen uns auf Kooperation und Kollaboration, wozu Intention die notwendigen Kräfte mobilisiert, um auf einen gemeinsamen, bedeutsamen Purpose hinzuarbeiten. Manche sagen auch, dass bei POSIWID Funktion und Zweck verwechselt werden und es eher lauten sollte: FOSIWID: The Function of a System is What it Does.

 

Was machen wir nun aus diesen verschiedenen Perspektiven? 

 

Meiner Ansicht nach, ist es gerade beim Purposebegriff müßig, auf Begriffsdefinitionen herumzureiten. Viel wichtiger ist die Frage, in welchem Kontext wir ihn nutzen und ein gemeinsames Verständnis davon zu haben, was das Ziel im jeweiligen Kontext ist.

 

POSIWID als Key-Result

 

Kommunizierte Intention und nachweisbarer Zweck sind nicht dasselbe. POSIWID ist eine hilfreiche Perspektive, die den Blick darauf richtet, dass ein System, nur weil es entworfen wurde, um etwas Bestimmtes zu tun, nicht unbedingt auch realisiert. Hier wird also ein Möglichkeitsraum eröffnet, in welchem wir arbeiten und etwas verändern können. Wenn wir möchten, dass das System etwas anderes erreicht als das, was es tatsächlich tut, müssen wir das grundlegende (Öko-)system umgestalten, damit es sich insgesamt in einer Weise verhält, die besser darauf ausgerichtet ist, das gewünschte Ziel zu erreichen.

 

Ich betrachte POSIWID als Möglichkeit, den Purpose als eine Art Key-Result im Rahmen eines Review-Prozesses zu betrachten. Die Handlungen und Ergebnisse einer Unternehmung ist der beste Nachweis für ihre zugrunde liegenden Funktionsweise. Wenn es jedoch darum geht, ein Leitbild für eine Organisation zu schaffen, das im Geschäftsmodell verankert ist und der neueren Entwicklung des Purposebegriffs entspricht, führt kein Weg daran vorbei, im Purpose auch eine Intention zu sehen, die noch nicht vollständig der beobachtbaren Realität entspricht.

[Dieser Artikel erschien am 29.10.2024 auf Regenerative Unternehmen]