Nachhaltigkeit x Systemtheorie – Systemtheoretische Reflexionen zur Nachhaltigkeitstransformation von Wirtschaft

Anfang 2025 habe ich ein Paper geschrieben, in dem ich meine systemtheoretischen Überlegungen zur Nachhaltigkeitstransformation der Wirtschaft zusammengefasst habe. Inspiriert wurden die Inhalte von der Forschung des FORMWELTen-Instituts und von Gitta Peyn, die auf LinkedIn mit großem Engagement ihr systemtheoretisches (Erfahrungs-)Wissen teilt und mich neugierig gemacht hat. Die theoretische Basis bildet größtenteils die soziologische Systemtheorie, wie sie u.a. von Niklas Luhmann entwickelt wurde.

Ich füge hier mein Vorwort ein. Wer danach interessiert ist weiterzulesen, findet am Ende einen Link zur PDF zum Download. Ich freue mich über jeden Austausch, der das Paper anregen sollte.

 

Vorwort

»Es gibt nichts Praktischeres als eine gute Theorie«. Diese Aussage, die dem Psychologen Kurt Lewin zugeschrieben wird, fasst zusammen, warum ich es für eine gute Idee hielt, diese kurze Abhandlung zu schreiben. Ich muss gestehen, als Praktikerin hat Theorie in meiner Arbeit lange Zeit nur nachrangig eine Rolle gespielt. Das hat sich geändert, als ich nach Antworten suchte auf eine Frage, die ich mir in meiner Berufspraxis als Nachhaltigkeitsberaterin immer wieder stellte: Woran liegt es, dass sich trotz der vielen sichtbaren Bemühungen unsere Wirtschaftsweise zu transformieren, so wenig darauf hindeutet, dass eine Transformation gelingen wird? Wie kommt es, dass sich Organisationen, die in Nachhaltigkeit investieren, schwer tun, nachhaltig nachhaltiger zu werden? Und wie kann das effektiver und effizienter gelingen? 

Als ich die soziologische Systemtheorie kennenlernte und damit auch die neueren Erkenntnisse aus der Systemforschung, erhielt ich erstmals handfeste Hinweise auf meine Frage. Albert Einstein sagte: »Wenn ich eine Stunde Zeit hätte, um ein Problem zu lösen, würde ich 55 Minuten über das Problem nachdenken und 5 Minuten über die Lösung.«. Die Systemtheorie bietet einen geeigneten Rahmen, den Ursachen von Problemen auf den Grund zu gehen und die entscheidenden Probleme an der Wurzel zu packen. Meine Beobachtung ist, dass wir gerade in der Nachhaltigkeitsdebatte vorschnell in Lösungsdenken verfallen, anstatt uns zunächst ausgiebig mit den zugrundeliegenden Problemen zu beschäftigen. Es liegt wahrscheinlich in der Natur der Sache, dass wir Nachhaltigkeitsverantwortliche vor allem die Zukunft im Blick haben. Das führt allerdings auch dazu, dass die vorgestellten Lösungen so einfach und unfehlbar erscheinen und wenig Raum für Diskussion darüber bleibt, was auf dem Weg schiefgeht und noch schiefgehen kann. Ich halte das für tückisch. Die Gefahr, die ich sehe, ist, dass wir voller Tatendrang eine Transformation vorantreiben, ohne zu berücksichtigen, wie Systeme funktionieren und wie sie sich verändern. Man stelle sich die Entwicklung eines neuen Medikaments vor, das eine Krankheit heilen soll, ohne zu verstehen, wie der Organismus potenziell darauf reagiert. Die Folgen können verheerend sein. Aus meiner Sicht würde eine (selbst-)kritischere Auseinandersetzung mit den eigenen Ambitionen – auch und gerade innerhalb der Nachhaltigkeitsbewegung, zu der ich mich selbst zähle – helfen, unsere Arbeit anschlussfähiger zu gestalten und unsere Strategien zu verbessern. 

Systemtheorie und ihr Einfluss auf das, was heute unter »Systemdenken« verstanden wird, ist in der Nachhaltigkeitsforschung natürlich nicht neu. Seit Jahrzehnten berufen sich Vorreiter und Vordenkerinnen auf das Systemdenken als notwendige Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung. Man denke an Donella Maedows, die mit »The Limits to Growth« und ihren späteren Arbeiten wesentliche Grundlagen für unser heutiges (systemisches) Verständnis von Nachhaltigkeit gelegt hat. Viele populärwissenschaftliche Publikationen zur Nachhaltigkeit und wirtschaftlichen Transformation bauen darauf auf, d.h. zentrale Argumentationen sind auch auf den einen oder anderen systemtheoretischen Unterbau zurückzuführen, werden aber oftmals nicht explizit offengelegt. Diesen möchte ich hiermit punktuell beleuchten, indem ich beispielhaft sowohl auf Aspekte der Transformation von Wirtschaft als Ganzes als auch auf die konkrete Nachhaltigkeitsarbeit in Organisationen eingehe. Mir ist dabei bewusst, dass meine Ausführungen hier und da als Fürsprache für die aktuelle Wirtschaftsweise ausgelegt werden können. Dies entspricht jedoch nicht meinem Anliegen. Es geht mir vielmehr darum, das System, welches wir erneuern wollen, erst einmal als solches anzuerkennen. Meiner Ansicht nach ist das eine notwendige Voraussetzung, um über machbare Veränderung sprechen zu können. Dabei ist die soziologische Systemtheorie kein Allheilsbringer. Sie bildet lediglich ein mögliches und in meinen Augen sehr tragfähiges Fundament für einen systemischen Blick auf komplexe Probleme, wie Klimawandel, soziale Ungleichheit oder gesellschaftliche Polarisierung, die wir auch durch unsere Arbeit in Organisationen versuchen zu lösen. Wie das besser gelingen kann, möchte ich hier zur Diskussion stellen. 

Die Hoffnung ist abschließend, dass die Reflexionen einen Beitrag leisten können, Nachhaltigkeitsverantwortliche zu entlasten. Diese Berufsgruppe ist aufgrund der komplexen Natur ihrer Arbeit und einem hohen Verantwortungsgefühl einem erhöhten Burnout-Risiko ausgesetzt. Mir persönlich hat das hier aufbereitete Wissen geholfen, meinen Einflussbereich und meine Einflussmöglichkeiten klarer zu sehen. Diese neu gewonnene Perspektive hat dazu beigetragen, mich in meiner Arbeit wirksamer zu fühlen, was nicht zuletzt auch einen nachhaltigeren Umgang mit meinen eigenen Ressourcen geführt hat. Zu diesem Perspektivwechsel möchte ich insbesondere Nachhaltigkeitsverantwortliche in und für Organisationen sowie Geschäftsführende mit Interesse an Nachhaltigkeit einladen.

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Nachhaltigkeit x Systemtheorie