Alternatives Wirtschaften: welches Modell passt zu meinem Unternehmen?

Der Ruf nach alternativen Wirtschaftsmodellen wird lauter. Insbesondere seit deutlich ist, dass ethisches und gleichzeitig profitables Wirtschaften nicht nur möglich ist, sondern zunehmend gar einander bedingt. 

Mit diesem Trend ändern sich auch die akuten Fragen: welche Modelle für alternatives Wirtschaften gibt es überhaupt und welches passt am besten zu meinem Unternehmen und unseren aktuellen strategischen Zielen?

Dieser Artikel soll helfen die richtigen Fragen zu stellen. Wir schauen uns drei Modelle genauer an: B Corp, Gemeinwohl-Ökonomie und Verantwortungseigentum. Denn die Modelle zielen zwar alle in eine ähnliche Richtung, jedoch vermag ein Modell besser passen als ein anderes. Das hängt von verschiedenen Faktoren ab, z.B. von der vorherrschenden Unternehmenskultur, der Bereitschaft zur Investition von Zeit und Ressourcen sowie den spezifischen Zielen. 

 

In diesem Artikel gehe ich auf folgende Fragen ein:

  1. Was sind alternative Wirtschaftsmodelle und welche weiteren Ansätze gibt es?
  2. Was genau ist B Corp, Gemeinwohl-Ökonomie und Verantwortungseigentum? 
  3. Warum kommt ein alternatives Wirtschaftsmodell überhaupt infrage? Welche konkreten Ziele werden verfolgt? 
  4. Welche Quellen sind für die weitere Auseinandersetzung hilfreich?

Zur ersten Frage:

 

Was sind alternative Wirtschaftsmodelle und welche weiteren Ansätze gibt es?

Mit alternativen Wirtschaftsmodellen sind verschiedene Rahmenwerke gemeint, mit denen die Wirkung unternehmerischer Aktivität auf die Gesellschaft und die Umwelt in den Fokus rückt. In Deutschland sind vor allem die Modelle B Corp, Gemeinwohl-Ökonomie und neuerdings Verantwortungseigentum bekannt, die zusammen gerechnet ca. 650 Unternehmen (Stand Januar 2021) in Deutschland, Österreich und der Schweiz umfassen. 

Bevor wir tiefer in die Modelle einsteigen, möchte ich vorab erwähnen, dass für die Formalisierung alternativen Wirtschaftens nicht nur Modelle in Betracht gezogen werden sollten, sondern auch Standards, wie z.B. Produkt-, Berichts- und Management-Standards sowie die Mitgliedschaft in Verbänden und Vereinen, wie z.B. UnternehmensGrün e.V.. Viele Unternehmen, die den Weg zu mehr Nachhaltigkeit und sozialer Verantwortung aktiv gestalten, fangen mit einzelnen Standards an und entwickeln sich über Jahre weiter. Und natürlich können verschiedene Standards und Modelle gleichzeitig implementiert werden. Z.B. sind einige B Corp-zertifizierte Unternehmen gleichzeitig Gemeinwohl-bilanziert (u.a. Ecosia und soulbottles). Sie schließen sich also nicht aus und sollten immer als Ergänzung verstanden werden.

 

Was genau ist B Corp, Gemeinwohl-Ökonomie und Verantwortungseigentum? 

 

B Corp:

“B Corp” steht für “Zertifizierte Benefit Corporation”. Das zugrundeliegende Rahmenwerk für die B Corp-Zertifizierung ist das B Impact Assessment. Es ist ein kostenloses Online-Tool, das einen umfassenden Fragenkatalog entlang der fünf Stakeholder-Säulen Unternehmensführung, Mitarbeitende, Gesellschaft, Kund*innen und Umwelt bereitstellt. Es basiert auf einem Punktesystem. Ab 80 (von maximal 200) Punkten können sich Unternehmen zertifizieren lassen.

 

Gemeinwohl-Ökonomie:

Die Gemeinwohl-Ökonomie ist – ähnlich wie B Corp – ein Modell, in dem gutes Wirtschaften im Zeichen aller beteiligten Stakeholder-Gruppen steht. Was bei B Corp das B Impact Assessment ist, ist hier die Gemeinwohl-Matrix (s.u.) zur Bewertung von unternehmerischen und gemeinnützigen Tätigkeiten. Auch die Matrix basiert auf einem Punktesystem. Inzwischen haben über 500 Unternehmen eine sogenannte “Gemeinwohl-Bilanz” veröffentlicht, was einem Siegel oder einem Zertifikat gleichkommt. Anders als bei B Corp, können sich in der Gemeinwohl-Ökonomie nicht nur Unternehmen, sondern z.B. auch Gemeinden und Bildungseinrichtungen bilanzieren lassen

 

 

 

Verantwortungseigentum: 

Anders als B Corp oder die Gemeinwohl-Ökonomie bietet Verantwortungseigentum keine Zertifizierung, sondern stellt eine Alternative zu herkömmlichen Eigentümerstrukturen dar. Es ermöglicht die “Unabhängigkeit und Werteorientierung eines Unternehmens rechtlich bindend in der DNA zu verankern.” Unternehmen in Verantwortungseigentum verpflichten sich zu zwei Prinzipien: a) der Selbstbestimmung (die Stimmrechte liegen bei aktiven Unternehmer*innen) und b) der Vermögensbindung (die Gewinne sind Mittel zum Zweck und nicht Selbstzweck). So streichen diese Unternehmen den Shareholder-Kapitalismus als treibendende Kraft aus der Gleichung und erzielte Gewinne verbleiben verpflichtend im Unternehmen. 

Oft werde ich gefragt, was der Unterschied zwischen Verantwortungseigentum und einer Genossenschaft ist. Hier besteht der wesentlich Unterschied darin, dass Genossenschaften zwar eine Form des Verantwortungseigentums sein können, aber ihre Grundstruktur nicht den gewinnbringenden Verkauf unterbindet (auch wenn dem alle Mitglieder zustimmen).

Damit verbunden ist auch die Frage, warum dann keine gGmbH („gemeinnützige GmbH) ausreicht. Hier werden Erträge nämlich auch nicht ausgeschüttet, sondern für gemeinnützige Zwecke verwendet. Allerdings ist der Zweck beschränkt und der Fokus liegt auf sozialen Kriterien, weniger auf umweltbezogenen Kriterien.

Zurzeit wirbt die Stiftung Verantwortungseigentum für die Einführung einer Rechtsform “VE-GmbH”, denn bislang gibt es im deutschen Gesellschaftsrecht keine Rechtsform, die Verantwortungseigentum unkompliziert möglich macht. Ohne die offizielle Rechtsform, ist Verantwortungseigentum dennoch möglich, stellt aber aufgrund der Komplexität und des Aufwands des Prozesses eine große Hürde dar. 

 

Warum kommt ein alternatives Wirtschaftsmodell überhaupt infrage? Welche konkreten Ziele werden verfolgt? 

 

Die Gründe für die Suche nach dem passenden Modell sind vielfältig. Diese können im Groben entlang folgender drei Stufen ausgemacht werden:

Orientierung: Viele Unternehmen erkennen inzwischen die Notwendigkeit Wirtschaft neu zu denken und suchen im ersten Schritt nach einem ersten Einstieg, um die Themen ökologische Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Verantwortung strukturiert anzugehen. Die Hürde hier ist der Dschungel an verschiedenen Standards, Zertifizierungen und Rahmenwerken. Wo fange ich an und woran kann ich mich orientieren? Das ist hier die primäre Frage.

Formalisierung: Dann gibt es Unternehmen, die sich schon länger mit der Thematik auseinandersetzen, mit Stakeholdern, intern wie extern, viele Gespräche geführt haben und ein hohes Bewusstsein für die verschiedenen Bereiche der Nachhaltigkeit haben. Erste Maßnahmen und (Reduktions-)Ziele wurden bereits implementiert. Nun stellt sich die Frage, wie die verschiedenen Maßnahmen strategisch ausgerichtet, ergänzt sowie messbar und kommunizierbar gemacht werden können. Nicht selten befinden sich diese Unternehmen bereits in einem umfassenden Transformationsprozess und ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg ist die Erstellung eines Wirkungs-, Nachhaltigkeits- bzw. CSR-Berichts oder gar die Zertifizierung bzw. Bilanzierung.

Manifestierung: Und dann gibt es die Unternehmen, die schon lange – oft seit Gründung – den Sinn ihres Schaffens in erster Linie in der Wertstiftung für Umwelt und Gemeinwohl sehen, diesen aber nie ganzheitlich formalisiert haben. Wenn der Fokus der Geschäftstätigkeit nicht auf der Gewinnausschüttung an Aktionäre und/oder Eigentümer*innen liegt, warum nicht gleich den ökologischen bzw. sozialen Purpose über Modelle wie das Verantwortungseigentum generationenübergreifend sicherstellen und manifestieren? 

 

Für alle drei Stufen eignen sich verschiedene Modelle aus unterschiedlichen Gründen. 

Es folgen meine Empfehlungen in Kurzform. Anschließend gehe ich näher auf die Vor- und Nachteile ein, unter Berücksichtigung verschiedener Kriterien wie Benutzerfreundlichkeit, Tiefgang, Sprache, Community und ihre Eignung für die Nachhaltigkeitsberichterstattung.

 

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Orientierung: B Corp / B Impact Assessment

Formalisierung: B Corp / B Impact Assessment & Gemeinwohl-Ökonomie 

Manifestierung: Verantwortungseigentum (und Alternativen wie Genossenschaft oder die gGmbH)

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Für die erste Orientierung eignet sich das B Impact Assessment, da es als Online-Tool in der Handhabung einfach und in der Struktur übersichtlich ist. Hier kann man sich in zwei Schritten registrieren und sich durch den Fragenkatalog führen lassen. 3-4 Stunden reichen aus, um am Ende ein Gefühl dafür zu bekommen, in welchen Bereichen man gut und weniger gut aufgestellt ist. An dieser Stelle sei auch gesagt, dass jedes Unternehmen das Tool nutzen kann, selbst wenn kein Zertifizierungswunsch besteht. Auch die Matrix der Gemeinwohl-Ökonomie steht jedem Unternehmen zur Verfügung, ebenso der Schnelltest als PDF zur ersten Selbsteinschätzung. 

 

 

Für die zweite Stufe der Formalisierung sollten sowohl die B Corp-Zertifizierung als auch die Gemeinwohl-Bilanzierung in Betracht gezogen werden. Die Gemeinwohl-Bilanzierung mit der zugrundeliegenden Gemeinwohl-Matrix stellt hierbei das etwas komplexere Rahmenwerk dar. Durch die Frage “welche Interessensgruppen durch Aktivitäten außerhalb des Unternehmens erreicht werden?” kann z.B. politisches Engagement berücksichtigt werden, was bei B Corp nicht der Fall ist. 

Ein weiteres Kriterium ist die Sprache. Das B Impact Assessment gibt es zurzeit nur auf Englisch und orientiert sich zudem spürbar am amerikanischen System. Einige Fragen treffen auf die deutsche Unternehmensrealität nicht zu und führen daher zu Verständnisschwierigkeiten. Da die Gemeinwohl-Ökonomie ihren Ursprung in Österreich hat und vor allem im deutschsprachigen Raum verbreitet ist, “spricht” sie Unternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz besser an. 

 

Was für die einen ein Nachteil darstellt, ist für andere ein Vorteil.

B Corp hat sich seit Gründung 2004 in den USA zu einer globalen Bewegung entwickelt und ist daher ein weltweit anerkanntes Modell für verantwortungsbewusstes Wirtschaften. Für Unternehmen, die sich international ausrichten bietet B Corp den Vorteil, dass weniger Erklärungsbedarf gegenüber Stakeholdern besteht. Das B Impact Assessment ist zudem einfacher in der Handhabung und bietet den insgesamt pragmatischsten Einstieg in eine holistische Nachhaltigkeitspraxis. 

Sowohl B Corp als auch die Gemeinwohl-Ökonomie legen Wert auf das Community-Building. Beide organisieren sich dezentral in lokalen Gruppen, veranstalten Events und Peer-to-Peer Coachings.

In Bezug auf die Berichterstattung, eignen sich sowohl B Corp als auch die Gemeinwohl-Ökonomie, wobei letztere konkrete Materialien zur Berichterstattung zur Verfügung stellt. Die sogenannte “Gemeinwohl-Berichterstattung” ist zudem das umfangreichste Berichtsmodell für das “Non-Financial-Reporting” und stellt damit gewissermaßen eine Benchmark dar.

Am Ende unterliegt die Auswahl vor allem den individuellen Bedürfnissen und Zielen. Zur weiteren Einschätzung empfehle ich die praktische Einsicht in die jeweiligen Tools (B Impact Assessment/Schnelltest) und den Austausch mit bereits zertifizierten/bilanzierten Unternehmen.

 

Von der Impactmessung zum verankerten Purpose

Zuguterletzt: Für Unternehmen, die Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Verantwortung nicht nur formalisieren, sondern darüber hinaus manifestieren wollen, kommt Verantwortungseigentum infrage. Streng genommen ist Verantwortungseigentum nicht mit B Corp oder der Gemeinwohl-Ökonomie vergleichbar, da es andere Ziele verfolgt. Hier spielt zum Beispiel die Impact-Messung, die für B Corp und die Gemeinwohl-Ökonomie so zentral ist, keine Rolle. Es geht nicht um das Wirken (und seine Messung) selbst, sondern um den Grund für das Wirken. Oft als „Purpose“ bezeichnet, kann er über ein Modell wie das Verantwortungseigentum tief in der DNA verankert werden.

Doch solang Verantwortungseigentum noch keine rechtliche Anerkennung als “VE-GmbH erfährt, ist diese Form nur mit intensivem Zeitinvest umsetzbar. Bis es soweit ist, sollten weiterhin die bislang etablierten Formen wie der e.V., die Genossenschaft, oder die gemeinnützige GmbH, in Betracht gezogen werden. 

 

Welche Quellen sind zur weiteren Auseinandersetzung hilfreich?

 

B Corp

Zugang zum B Impact Assessment. Eine erste Übersicht ist nach 2-3 Stunden möglich.

Website B Corp Deutschland 

Verzeichnis bereits zertifizierter B Corps

Gemeinwohl-Ökonomie

Um sich ein schnelles Bild der Fragestellungen der Gemeinwohl-Ökonomie zu machen, eignet sich dieser Schnelltest. Es handelt sich um ein PDF-Dokument, das die verschiedenen Bereiche der Matrix abdeckt und zu einer ersten Selbsteinschätzung führt. 

Website der Gemeinwohl-Ökonomie

Verzeichnis der bereits bilanzierten Gemeinwohl-Unternehmen

 

Verantwortungseigentum

Zur weiterführenden Information empfehle ich diesen sehr aufschlussreichen Artikel von Sebastian Klein. Er ist Mitgründer des Magazins Neue Narrative, das 2020 den Weg ins Verantwortungseigentum gegangen ist. Im Artikel befinden sich weitere hilfreiche Links.

Website der Purpose Economy

Website Stiftung Verantwortungseigentum

Talk von Armin Steuernagel zum Thema Verantwortungseigentum (auf Englisch)

 

Bei Fragen und Ergänzungen freue ich mich auf Nachricht: karry@karryschwettmann.com